BY Vitus Weh in Frieze | 11 DEC 14

Aktuelle Ausstellung: Constanze Ruhm / Emilien Awada – Kerstin Engholm Galerie, Wien

Für gewöhnlich lese ich in Ausstellungen gerne die Wandtexte oder ausliegenden Infoblätter – soweit es sie gibt. Denn meistens verstehe ich die Kunstwerke dann eben doch besser oder entdecke wichtige Aspekte, die ich sonst übersehen hätte. Auch den Wandtext von PANORAMIS PARAMOUNT PARANORMAL, der Ausstellung, die Constanze Ruhm gemeinsam mit Emilien Awada in der Kerstin Engholm Galerie realisiert hat, habe ich bei meinem Besuch gleich zu lesen begonnen – hing er doch als Poster prominent am Eingang. Schnell geriet ich allerdings ins Taumeln. Der Text, der von einem 1971 abgebrannten und längst vergessenen französischen Filmstudio in St. Maurice handelt, hörte gar nicht mehr auf. Nicht nur der Text, auch die Geschichten, die sich für Constanze Ruhm um dieses ehemalige Studio wie Schlingpflanzen ranken, und die Untoten, die es bevölkern, begannen ins schier Unermessliche zu wuchern.

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BY Vitus Weh in Frieze | 11 DEC 14

Da wäre zunächst Jean-Luc Godard und sein Film Une femme est une femme (1961), für den in den Studios ein kleines Apartment nachgebaut worden war; dann wieder ging es um Rollenspiel und Casting; schließlich um einen ausbleibenden Vogelschwarm in der Wohnhausanlage Residence Le Panoramis, die auf dem Grund der ehemaligen Studios errichtet wurde, um künstliche Kulissen-Wälder oder Multi-Language-Version-Filme. Detail folgt auf Detail, alles hängt auf hypnotische Art und Weise mit allem zusammen. Auch beim Betrachten der zwei auf Monitoren gezeigten Filme (PANORAMIS PARAMOUNT PARANORMAL, Prolog und Trailer zu einem geplanten Langfilm, 2014) lässt der Schwindel nicht nach: Eine Frau in grüner Bluse spricht als Schauspielerin für die Rolle eines Gespenstes vor, danach redet plötzlich eine andere Schauspielerin, trägt aber die gleiche Bluse. Ein alter Mann schlurft durch die gepflegte Grünanlage der Wohnsiedlung, ich fühle mich angeblickt von modernistischen Eingangstüren und bin endgültig verwirrt – vom Sirenengesang einer Cinephilen.

Seit Jahren beschäftigt sich Ruhm mit den unheimlichen Aspekten des Kinos. Die gibt es nicht nur in speziellen Splatter- und Horror-Genres, sie durchziehen, wenn man so will, den Kinofilm im Ganzen schon auf der Basis seiner medientechnischen Spezifika. Die unheimliche Magie des Kinos basiert darauf, mittels einer Kamera Realität reproduzieren zu können, und zwar dergestalt, dass „das Kino das Leben in sich selbst verwandelt“ (so formuliert es der Filmtheoretiker André Bazin). Doch mit dieser Verwandlung wird die abgelichtete Realität zugleich unsterblich – zumindest halb. Denn im dünnen, halbdurchsichtigen Häutchen des Films entsteht immer schon ein Purgatorium: Das darin Eingefangene flackert und wuchert weiter, auch wenn die Kamera nicht mehr läuft, der Film nicht mehr gezeigt wird. In Ruhms künstlerischem Werk haben diese Spukgestalten, alten Drehorte und Settings eine Heimat gefunden. Wo Ruhm in früheren Arbeiten wie My_Never_Ending_Burial_Plot (2010) ihre zumeist weiblichen Figuren nach dem Filmauftritt noch weiter agieren und lamentieren ließ, kommen ihre Darstellerinnen diesmal gleich direkt zum Geister-Casting. Auch Vögel spielen mit im Film und buhlen um eine Rolle. Laut Wandtext repräsentieren sie „all das, was aus der Montage herausgeschnitten, aus dem Script gekürzt, aus der Geschichte oder Darstellung eliminiert wurde“. Überhaupt mangelt es nicht an Referenzen an Sigmunds Freud Verdrängungstheorie, Jacques Lacans Begehrensstrukturen und Jacques Derridas „Hantologie“, die Lehre von den Gespenstern. Als Metaphern und explizite Reflexionen durchdringen und umhüllen sie Constanze Ruhms Filme wie ein Liebesgespinst, aus dem es keinen undramatischen Ausweg gibt.

Im Verhältnis zu diesem referenziellen Überschwang ist die Ausstellung selbst erstaunlich zugänglich. Sie funktioniert wie ein begehbares Drehbuch im Kopf: Die Wände bedecken großformatige Standbilder aus den Filmen wie die Lochfenster eines modernen Wohnhauses. Die kurzen Filme selbst laufen auf kleinen Glastischen mit Sockeln aus abgeschnittenen Bäumen, was einerseits als Metapher für einen Schnittplatz gelesen werden kann, andererseits als Referenz an einen Kulissenwald aus Pappe, wie er einst in den Studios stand. Die gezeigten Filme nennen sich zwar „Prolog und Trailer zu einem Langfilm“, funktionieren für sich genommen aber bestens als intelligente Miniaturen. In ihnen ist die unendliche und fluide Vieldeutigkeit des Kinos gleichsam zu kleinen Glaskugeln geronnen, in denen die Themen Autorschaft und Autorität, Emanzipationskämpfe und Feminismus, Liebe, Tod und Auferstehung kunstvoll schillern. In seiner gelungenen Verdichtung ist das allerdings auch schon wieder unheimlich.

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